Mittwoch, 02.11.

Das Nachsendeproblem nervt total. Drei mögliche Anbieter, keiner will das Geld genommen haben. Keiner führt den Auftrag aus. Nerv. Ann schreibt Mails und ist dadurch angespannt.

Gestern waren wir noch im IIC, Vorträge eines Weisen aus Heidelberg und lokaler Politprominenz anhören zum Jubiläum des was auch immer. Ann und ihre Kollegin waren empört und entsetzt ob der Qualität und Substanz.

Aber das anschließende Gratis-Buffet besänftigte uns. Die Veranstaltung an sich war schon etwas skurril. Nur kurz: Die Herren stürzten doppelt und dreifach Gratis-Whiskeys in sich hinein. Ich kam gar nicht nach, die Barkeeper auch nicht.

 

Schön abgefüllt mit Alkohol, anderem Getränk und Essen machten wir uns mit dem Taxi auf den Heimweg ins Greater Kailash. Am Ende des Tages war meine Montur zweimal komplett durchgeschwitzt.

 


Zum Abschiednehmen von unserem Quartier hab ich noch ne Runde Fotos durch  die Wohnung gemacht und ein düsterer Dunst mit einer bitterdunkel roten Sonne rund um die Gegend hat uns verabschiedet. Das Flugzeug, dessen Lärm ich hörte, war nicht zu sehen im Waschhaus-blaugrau.

 


Wir  haben zwei anstrengende Tage fast hinter uns.

 

Ann bereitet sich auf eine Online-Bewerbung vor, ich bin voll eingebunden. Wir besprechen und proben.

 

Heute werde ich wohl nur noch aus dem Haus kommen, um den Müll runter zu bringen. Gleichzeitig bereiten wir alles auf den Umzug in die andere Wohnung vor. Den Schlüssel haben wir vorgestern entgegen genommen, die Wohnung inspiziert und erste Sachen hingebracht. Sie liegt im „Verteidiger-Viertel“.

Das muss später erklärt werden. Einziger Pluspunkt an der Wohnung: sie liegt näher an Anns Arbeitsstelle. Der ausschlaggebende Punkt.

Ann brauchte bisher über eine Sunde hin und dasselbe zurück. Ansonsten ist sie kleiner, ungünstiger geschnitten und och noch teurer. Und teurer ists in dem Viertel sicher auch noch.

Also morgen müssen wir um zehn hier den Schlüssel abgeben und mit den Koffern auf der Straße stehen.

Also Koffer packen heute, aber auch noch nicht ganz. Bewerbung heute Abend (andere Zeitzone + Winterzeit = 4,5 h ca.) um 20:30 Beginn, Dauer ca. 1,5 h alles in allem.

 

Danach wollen und müssen wir noch Anns Geburtstag feiern zur Ausklangs-Entspannung. Den Morgengruß hab ich wenigstens heute früh locker zelebrieren können - in den letzten entspannten Minuten bis zum Frühstück.



Freitag, 04.11.

Gut geplant ist halb gewonnen. Wir waren früh auf, haben fertig gepackt, warteten auf die  Abnahme der Wohnung und Schlüssel durch den Dienstmann des Big-Boss. Der kam zu spät, war aber dann doch sehr hilfreich beim besorgen eines Taxis, nachdem uns der Uber-Fahrer nicht mitnehmen wollte wegen zu viel Gepäck. Jetzt will er sogar Storno-Gebühren. Aber nicht mit Ann. In der neuen Wohnung ausgepackt, ausgeruht, und Vorräte auffüllen gegangen. Das Einkaufsgebiet direkt am Defence Colony - Park ist wirklich sau teuer. Alles Nobel-Marken-Scheiß. Man verliert die Übersicht in diesen schmalen Emma-Läden und bums ist die Rechnung wieder viel zu hoch.

 


Samstag,  05.11.

Ann sieht mit Vorfreude und Spannung der Zoom-Party entgegen. Hoffentlich kein Flop, denn davon reicht es heute. Wir haben als Morgenspaziergang geplant, einen Fußweg für Anns Arbeitsweg auszuprobieren. Flop. Von den ersten 15 min ging es durch ein großes einfache-Leute-Market-Gebiet mit Hochbetrieb am Samstag und schlechtesten Gehbedingungen. Anstrengend. Dann ging es weiter mit öden langen Straßen zwischen Mauern und Fahrspuren. Zu lange. Den Rückweg versuchten wir laut Navi anders. Aber die ganze Zeit ging es nah am Verkehr entlang. Die Krönung war eine lange Distanz über eine Eisenbahnbrücke. Rechts davon im Draufblick ein endloses Abriss-Armenviertel mit wirklich zum Erschaudern armseligen Gestalten drin. Und dann schwupps an der Kreuzung ging der fette Konsum wieder los. Irgendwie war es deprimierend. Ann hatte auf diesem Weg ähnliche Gefühle. Morgen probieren wir noch einen anderen Weg aus. Warum das Ganze: Ann hat Probleme jeden Tag mit dem Tuk-Tuk zu fahren und so weiterhin zum Delhi-Verkehr beizutragen, obwohl wir nun ja nah dran wohnen – und dafür auch mehr bezahlen als in Greater Kailash. Und es gibt auch anstrengende Tuk-Fahrer. Zum Entspannen waren wir, nachdem wir das Büro erreicht hatten, im nah gelegenen Lodhi Garden, ein Stadtpark. Verteilt über 360.000 Quadrat-meter stehen da riesige kathedralische Grabmäler von Mohammed Shahs, Sikandar Lodi, Shisha Gumbad und Bara Gumbad aus dem 15. Jh. https://en.wikipedia.org/wiki/Lodi_Gardens  Beeindruckend, schön im Park voller Liebespaare und Schulklassen aufm Wandertag mit Projektaufgaben, zu erkennen an großen Gruppen und Schüleruniform.

 

Sonntag, 06.11.

 Heute waren wir wieder im National Museum, wollten aber vorher noch mal einen alternativen Arbeitsweg auskundschaften. Leider auch wieder Fehlanzeige. Die lange Brücke musste man nur so lange langlaufen, wie das Abrissviertel unter einem sichtbar war, dann ging es runter, da ein großer TukTuk-Park-und-Rastplatz, weiter Trampelpfad zum Bahnsteig und zu den Gleisen. Wir sind einfach rüber – wie die Lokalen – der Zug war weitweg zu sehen, machte Krach, fuhr auch in den kommenden 5 Minuten, nicht durch den Bahnhof. Die dann im Navi angezeigte und zu sehende Fußgängerbrücke war nicht begehbar. Es gab ein Tor in der Mauer, das verschlossen war und auch schon ziemlich eingewachsen. Also wieder zur alten Route vom Vortag weiterlaufen, immerhin kein Marktgetümmel, aber dann wieder die lange nervende Straße ohne durchgängig funktionierenden Gehweg, so dass Leute zu Fuß immer wieder auf der Straße laufen müssen. Das wird auch emotionslos hingenommen, ist aber trotzdem blöd, mitten im schnellen Verkehr, dem Staub, dem Lärm und den Abgasen laufen zu müssen.

 

Das National Museum hat für den Arbeitswegfrust entschädigt. Wir nahmen ein TukTuk hin, ohne die ganze Strecke zu Anns Büro abzuschreiten und setzten an der Stelle unser Staunen fort, wo wir letzten Sonntag aufgehört hatten. Aber erst mal die Kantine. Tee aus dreckigen Tassen. Anns Ärger wollte kein Ende nehmen. Plötzlich waren meine Rauchpausen zu lang. ??? Aber es ging im großen Haus beruhigend und beeindruckend weiter. Und wir haben immer noch nicht alles gesehen. Immerhin haben wir jetzt mehr oder weniger das Erdgeschoss erkundet, den Innenhof, das Außengelände und die Buddha-Sonderausstellung im Nebengebäude. Es bleiben noch zwei Stockwerke für weitere Besuche…

Die Fotos dazu sind eine spontane kleine Auswahl.

 


Mittwoch, 9.11.

Ich habe Ann heute auf nun erprobtem Weg über die Brücke und noch ein Stück gebracht. (Nächste Woche will sie die Strecke mit einem Trittroller meistern, um Zeit zu sparen.) Bin dann aber auf anderem Weg zurück, um von hinten in den Markt zu kommen, um dort ein Brett für das Tischgestell auf dem Balkon zu erspähen. Ich überquerte eine Fußgängerbrücke, an deren Fuße sich an der Marktseite eine Lichtung zu einem „Fluss“ öffnete. Ein grusliger Anblick. Mit und ohne Menschen. Oder ist es gar kein Fluss? Bei G-maps ist er jedenfalls nicht eingezeichnet. So kann ich der Katastrophe nicht mal einen Namen geben.

Ein Büdchen, wo sie offensichtlich Möbelrestholz verwerten, hab ich im Markt dann gefunden. Mittags bin ich noch mal hin mit einem Knotenstrick mit Maßen (60 x 60 cm) und habe das Gesuchte bekommen.

Der Tag war gerettet, ich hatte zu tun und es gibt nun einen tollen Tisch auf dem Balkon.

 


Donnerstag, 10.11.

Das Tughlaqabad Fort stand heute auf meinem Ausflugszettel. Also bin ich gegen 14 Uhr, als sich Anns Zoom-Konferenz näherte, losmarschiert. Ich hatte mich entschlossen, Tuk zu fahren, weil die Verkehrsanbindung sich stark auf Bus einschränkte, zu denen wir noch kein ausgesprochenes Vertrauen haben. Die Dinger sehen nicht sehr verkehrstüchtig aus, sind rappelvoll und zum ein- und  aussteigen, muss man während der (langsamen) Fahrt auch gewillt sein zu springen. Aber auch die Tuk-Fahrer kennen die nationalen Sehenswürdigkeiten in einer anderen Ecke ihrer Stadt nicht unbedingt. Der erste lehnte deshalb ab. Den zweiten lotste ich dann mit dem Navi, bis er dann einen Faden durch die kleineren Straßen statt der verstauten Stadtautobahn fand. Die hatten aber den Nachteil, dass zur Schulschlusszeit die SchülerInnen den Straßenrand säumten und Taxis und Elternautos u.u.u. belagerten. War aber interessant anzuschauen. Schulklassen in Uniform in Dehli. Nach einer knappen Stunde waren wir da. Der Fahrer war erstaunt, dass ich da hin will. So deutete ich jedenfalls seine Geste, vielleicht war er auch nur erstaunt, dass er sich für so weit so preiswert verkauft hat. Tughluqabad Fort ist die Ruine der Festung, die Anfang des 14. Jh. von Ghiyasuddin Tughluq, dem Gründer der Tughlaq-Dynastie gebaut wurde und heute den Namen für das nahe Wohn- und Gewerbegebiet Tughluqabad hergibt. Tugh! Wikipedia ist voll von schönen Geschichten darüber. Ich sage mal nur: Es ist prächtig anzuschauen. Gleich anbei steht das „Mausoleum von Ghiyath al-Din Tughluq“.  Drinnen unter der Kuppel befinden sich drei Gräber: Neben Ghiyas ud-din Tughluq liegen da vermutlich seine Frau (kein Name, außer „Frau“), Tughluq und sein Sohn und Nachfolger Muhammad bin Tughluq. Tugh! 

 


Sonntag, 13 11.

Ann:   Ich habe nun einen Arbeitsweg, den ich schon dreimal abgelaufen bin. Morgens ist er völlig anders als am Nachmittag. Morgens ist er ruhig und leer. Am Spätnachmittag ist der Verkehr auch erträglich, aber am letzten Ende vor der Treppe zur Brücke, die Flyover (Überflieger) heißt, gibt es rund 300 Meter Autowerkstatt auf der Straße. Ich staunte nicht schlecht, wie viele Leute da an vielen Autos und Motorrädern rumschraubten.
Die Straße war an einer Stelle glatt auf weniger als eine Spur verengt. Ein SUV musste sich langsam durchmanövrieren, ich fußgehend passte natürlich gut durch, Tuktuks auch, normale Autos gab es zum Glück nicht viele. Morgens war von dieser Autowerkstatt nichts zu sehen. Vermutlich ist mit Einbruch der Dunkelheit auch Feierabend, weil man nicht mehr sieht, woran man gerade schraubt. Ab Montag werde ich hier täglich genauer hinschauen, denn am Freitag haben wir Decathlon besucht und einen Tretroller für mich gekauft. Mit dem werde ich ab morgen meine neue Unabhängigkeit auf dem Arbeitsweg testen. Ich bin schon sehr gespannt, denn ein Grund für den Umzug war ja, dass ich es dann nicht mehr so weit zum Büro habe. Den Weg immer mit einem Tuktuk zurückzulegen, hatte ich nicht vor. Radfahren ist aber zu gefährlich für selbständige Fortbewegung, zu Fuß dauert es dann doch eine ganze Weile (40 Minuten). Der Roller ist ein Kompromiss. Mal sehen.
Unter dem Flyover gibt es mehrere ärmliche Hilfsbehausungen, die an den Zaun montiert wurden und wo ich durch den Hof der Bewohner_innen laufe. Viele Kinder, Wasser, das in großen Tankwagen zur Verfügung gestellt wird und dann in Kanistern zu den Behausungen getragen wird, offenes Feuer auf dem gekocht wird. Aber wohl immerhin ein wie auch immer Dach über dem Kopf. Perspektivlose Armut, nicht auszuhalten, nur ignorierbar.
Das haben wir heute auch auf einem Markt im Nizamuddin so ähnlich erlebt. Nizamuddin ist ein altes muslimisch-geprägtes Viertel. Der Markt war am Sonntag wohl nur halb offen, aber einen Eindruck konnten wir bekommen (aus und vorbei die Basar-Romantik, kommentiert F.). Es war alles mega-eng, zwischendrin Müll, Tiere, Menschen, Imbisse, Bäckereien, Fleischereien, Bekleidungsgeschäfte, enge Treppenstiegen, Wohnzimmer, schöne Reliefs und dann doch wieder Gleichgültigkeit und Zerfall, oder einfach fehlende finanzielle Mittel für Straßenreinigung und Renovierung. Sicher würden die Menschen dort auch lieber so wohnen wie ihre Nachbar_innen 500 Meter weiter weg mit Vorgärten, Wächtern, Autos und einfach mehr Platz. Warum der Reichtum nicht besser umverteilt wird, bleibt ein Rätsel für mich. Nicht, dass es in Deutschland keine Obdachlosigkeit und Armut gäbe, aber das Ausmaß ist ein anderes.
Vor dem Elend haben wir das „Gräberfeld“ der obersten 100 vergangener Zeiten besucht. Das Mausoleum des Nasiruddin Muhammad Humayun (1508–1556), Herrscher des Großmogulreiches von Indien. Humayun, Verwandte, Frauen, Kindern, Angestellte, sogar der Frisör des Herren, wie Ann vom Museumsführer aufgedrängt unterrichtet wurde, während ich mir weiter die Ausstellung zur Anlage anschaute, sind hier auf weitem Gelände in etlichen Tumben bestattet. Insgesamt mehr als 70 Gräber liegen in den Kellern der „Tombs“. Oben stehen in den irre gewaltigen Kuppelbauten Marmorsärge zum Andenken. Die ganze Anlage ist groß, weitläufig in Park eingebettet, mit einer dicken Mauer umgrenzt, deren Torhäuser auch gewaltig sind. Die Totenhäuser sind mit Moscheen verbunden und jede einzelne hoheitliche Grabanlage in seiner Architektur beeindruckend. Für die heutigen (wohl hinduistischen) Jugendgruppen, von denen es neben anderen Besuchergruppen nur so wimmelte, war das Ganze trotzdem so ähnlich wie ein Besuch in Disney-Land. Pubertärer Lärm und Gaudi all over this land. Ärgerlich. Na ja, es handelt sich ja auch um überwundene muslimische Ex-Eroberer und Herrscher.

 

Und so kommen Ann und ich gerade in eine sprachphilosophische Reflexion: wieso es hinduistisch heißt, bei islamisch und islamistisch einen Unterschied gibt und christlich nichts -Istisches hat, jedenfalls erstmal nicht, sondern dann noch „fundamentalistisch“ ergänzt werden muss… sonderbare deutsche Sprache.

 


Mittwoch, 16.11.

Der Baum vor unserem Haus blüht frühlingig kleine gelbe Blüten und gestern hatten wir ab morgens: „WOLKEN“ am Himmel. Wir beide sind der Meinung, zum ersten Mal seit den nun schon 4 Wochen. Schöne zarte vom Wind sanft getriebene Wölkchen. Also kann ich das starre Eisenblaugrau auf meinen Blättern hinter den Gebäuden auch variieren. Sogar das Stadion war gut zu sehen. Von dort ballerte gestern Nacht bis zwölfe orgastisch gebrüllter Techno-Samba-Balkan-Indi-Pop zu uns rüber. Sehr tanzanimierend. Heute früh hab ich mich, nachdem ich nochmal für Ann Optionen für ihren Arbeitsweg erkundet habe, in das nahgelegene gewaltige Marktviertel aufgemacht. Acryl-Weiß brauchte ich, ne Wanduhr und ne Fahrradklingel hab ich gefunden.

 

Abends beim gemeinsamen Lebensmitteleinkauf um die Ecke, fiel mir dann auch noch die Farbe in die Hände. Kleine Highlights.

 


Donnerstag, 17.11.

Mittags hab ich mich auf den Weg zum Goethe-Institut gemacht, die Lage für eine Ausstellung checken, die Bibliothek inspizieren und abends noch ein Theaterstück anschauen. „Chicken“, eine pantomimisch, absurdtheatrige propagandistische dialogszenische Kraftanstrengung gegen das Halten und Verspreisen von Hühnern. Hatte schöne Momente. Nachts hab ich dann noch in der Pizzaria geabendbrotet: die haben überbackenen Käsestüllchen, an die ich mich wohl schon gewöhnt habe. Ann kam erst nach mir nach A-449. Sie war mit den Kolleg:innen essen. „Dienstausflug“.

 


Freitag, 18.11.

 

Den Tag hab ich „zu Hause“ verbracht, hatte Lust zu zeichnen. Das hatte ich gestern Mittag abgebrochen, nachdem mir der Lärm zu viel wurde. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wird in zwei Häusern ausgebaut oder gebastelt. Vom Draufschauen kann man manches, was sie tun, nicht verstehen. Aber nun läuft schon den zweiten Tag das Programm: schleifen, trennen, flexen. Immer im Wechsel, mal da, mal da, von links und rechts. Auf dem Balkon macht das nicht so recht Freude. Also war Getränke einkaufen das einzige Ausflugserlebnis, zu dem ich mich aufraffen konnte. Ansonsten vertiefte ich mich in ein ausgeliehenes Buch: „Wie man illegal einen Wald pflanzt“. Klasse.


Samstag, 19. 11. 

Samstag, die Flexerei ging weiter, sogar verstärkt. Drei bis vier Flexen waren zeitweise im Einsatz. Mich machte das langsam etwas unleidig und aggressiv. Ich stellte mir vor, wie ich mit einem dicken Gewehr in die Luft schoss und in die folgende Stille etwas Stinksaures gegen den Noise (Lärm) schrie. Auch Ann war genervt und kam nicht zum geplanten Textschreiben. Also gingen wir einkaufen. Handtücher, Nüsse, Pflanzen, Übertöpfe durch die pralle Basarmeile bei uns um die Ecke. Auch kein Vergnügen. Als es dann beruhigendes Abendbrot gab (Blumenkohl mit Kartoffeln) gesellten sich ein, zwei kleine Stromausfälle dazu. Und als ich mich an das Laptop setzte, ??? Kein Internet. Supertag.  Aber am Ende hält es sich irgendwie die Waage, aufregend und geschafft ist mensch trotzdem. Und wir haben jetzt Grünzeug auf dem Balkon. Irgendwie schön.

 


Sonntag, 20.11.

Sonntag: Der Tag begann nicht mit einem Flexkonzert, nein mit einem Presslufthammersolo. Flexen setzten von rechts erst später ein. Ann muss am Schreibtisch englisch texten. Morgen muss es fertig sein. Also bin ich allein los. Anns Kollegin empfahl: Qutb Minar, ein Sieges- und Wachturm sowie ein Minarett im Qutb-Komplex, gegen Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts gebaut unter Qutb-ud-Din Aibak nach dem Sieg der Moslems über die Hindus. Er gilt als frühes Meisterwerk der indo-islamischen Architektur und zählt zu den höchsten Turmbauten der islamischen Welt. Mehr unter https://de.wikipedia.org/wiki/Qutb_Minar , wer will.

Leider schaffen (oder lassen sich schaffen) die Eroberer und Herrscher für die Nachwelt überall versöhnend beeindruckende Bauwerke, die an ihre Erfolge erinnern sollen. Da es eine wirklich beeindruckende Anlage ist und der Turm ein Ding für sich plus die Intensität der in Stein gehauenen Ornamente zählt er seit 1993 als .Teil des Weltkulturerbe der UNESCO.

 

Sonntag. Ganz Dehli scheint im Ausflug. Das scheint wie überall auf der Welt. Sontags geht’s raus. Es war ein irres Leben auf den Straßen und an den Kassen zum Turm war anstehen angesagt.

 


Dienstag, 22.11.

Die Fahrt zum Taj Mahal, organisiert von Anns Büro mit einer  Gruppe tunesischer Wissenschaftler_innen in einem kleinen Reisebus, war mit viereinhalb Stunden und dasselbe zurück seit Langem das Härteste, was mir und meinem Rücken widerfahren ist. Das im Jahre 1648 fertig gestellte Mausoleum, am Südufer des Yamuna-Flusses, am Stadtrand von Agra (Uttar Pradesh) ist wohl ein „Reiseziel“ für Dehlianer_innen. Der Anfahrtsweg voll mit Verkehr; der Trubel gewaltig. Den Reiseführer fand ich ziemlich taff. Sein Englisch konnte ich gut verstehen. Er sprach gut und hatte was zu erzählen. Allein das legendenumwobene Gebäude gab das auch her. Der muslimische Großmogul Shah Jahan ließ den Bau zum Gedenken an seine im Jahre 1631 verstorbene große Liebe und Ehefrau Mumtaz Mahal erbauen und außen wie innen mit weißem Marmor verkleiden. Sein eigenes sollte dann aus (viermal so teurem) schwarzem Marmor auf dem anderen Flussufer erbaut werden und mit einer Brücke mit dem Mausoleum seiner geliebten Frau verbunden werden. Seinem Sohn, der die Staatsfinanzen überblickte, wurde die Sache zu teuer und er blies den Bauwahnsinn ab. Papa wurde bei seiner geliebten Frau beigesetzt, nachdem er entmündigt und bis zum Lebensende acht Jahre lang eingesperrt wurde.

 

Der Bau wirkte auf mich unschuldig, erhaben, rein, steril. Die Begehungssicherheitsvorsichtsmaßnahmen taten ihr Übriges. Schlangen,

Schutzlatschen, regulierter Einlass. Und zu sehen gab es dann doch kaum was. Die Leichen liegen sowieso im Keller. Die Tumben des Paares

waren vor Antatscherei mit einem großen achteckigen Schutzgitter aus Marmor geschützt, feinst  durchbrochen gehämmert. Sehr schöne Arbeit,

die man aber beim geleiteten Vorbeimarsch nicht wahrnimmt, weil der Blick immer auf das, was man vom Sarg erhaschen kann, bleibt.

Enttäuscht war ich nicht, aber ernüchtert. Auch Weltwunder können nicht immer überzeugen.

 


Mittwoch, 23. 11. 

Mit dem gemieteten Bus sind wir mit der tunesischen Gruppe zur Jama Masjid-Moschee gefahren. Die bietet laut Wikipedia 25.000 Personen Platz, hat 40 m hohe Minarette und ist aus rotem Sandstein im Mogulstil des 17. Jh. gebaut. Uns wurde pro Nase noch 200 Rupien für Latschen abgezogen und die Frauen mussten sich für weitere 50 Rupien noch nen Kittel überwerfen. Na die waren sauer. Der heutige Reiseführer ist etwas maulfaul und hat es mit Zahlen – oder doch nicht so. 20 min für das Ganze auf eigene Faust und Verantwortung. Und dann geht es weiter. Der „Klopper“ ist auch wirklich bisschen trist und so kommen Ann und ihre Kollegin auf eine andere Idee: Wir seilen uns ab und gehen zu Fuß durch Alt-Delhi bis zum Roten Fort, dem nächsten Ziel auf der Sightseing-Tour-List der Reisegruppe. Das war auch nicht unanstrengend, aber erlebnisvoll, während uns der Bus mit der Group überholte. Ist schon ein Witz, dass wir gerade den gesehen haben in dem Gewimmel. Ich hatte Hunger, bat um einen Stopp ein und Dank der Kollegin, weiß ich, was wir gegessen haben, was sehr lecker schmeckte: Puri mit Kichererbsengemüse, aber leckerst gewürzt, nicht wie gestern nach dem Taj Mahal, in der vom Reiseführer offerierten Vorstadtkneipe.

 


Das Rote Fort vor Augen - haben wir es zirka dreimal umrundet, eh wir den Eingang gefunden haben. Vor der Eingangszone brachte sich gerade ein Jahrmarkt mit allem Drum und Dran in Stellung. Deswegen war der Zugang teilweise gesperrt und nicht sichtbar. Die Festung wurde zwischen 1639 und 1648 für den Mogulkaiser Shah Jahan erbaut und hat ihren Namen wegen der roten Farbe des verbauten Sandsteines. Die vielen verbliebenen Gebäude für ehemals militärische Zwecke wurden klug genutzt für heutige Zwecke von Museum bis Cafeteria. Dazwischen viel viel Parkwiese zum Abruhen und Mittagsschläfchen. Ich musste an die mir bekannten Kasernen in Leipzig und Halle denken. Sind die wohl auch schon auf dem Weg zum Erholungspark wie im roten Fort?

 


Freitag, 25. 11., abends:

Und hier kommt Ann:     Die letzten zwei Tage echtes Touri-Programm. Die Fahrt zum Taj Mahal ging um 7 Uhr vor dem Hotel los, wo die tunesischen Kolleg:innen eingemietet wurden. Nicht weit von hier, aber wir wollten ja auch pünktlich sein. Also vor Sonnenaufgang aufstehen und um 6:40 Uhr aufbrechen und ein Beförderungsmittel suchen. Frank machte den Tag zuvor eine Erkundungstour am Morgen, um rauszufinden, wo wir eigentlich aus dem Wohnviertel rauskommen. Denn: wir wohnen ja hier in einer „gated community“. Das hat wenig mit „community“ zu tun, mit Gemeinschaft, sondern vor allem mit den „gates“, den Eingangstoren. Denn hier wird nachts abgeschlossen… Die Häuser sind so angeordnet, dass es nach außen Mauern gibt und dazwischen dann Zugangstore, die nachts abgeschlossen werden. Wir standen noch nie draußen und wissen nicht, wann hier nachts beginnt. Vermutlich 22 Uhr. Dann ist nur noch ein bewachtes Tor offen. Wo sich das hier befindet, haben wir noch nicht erkundet. Aber Frank hat um 6:30 auf der Erkundung schon mal rausgefunden, dass wir hinter unserer Straße eine Schranke haben, wo Menschen zu Fuß durchkönnen. Den Ausgang haben wir dann also genommen, sind zur leeren Taxi-/TukTuk-Parkstelle gelaufen und wurden netterweise von einem Taxifahrer angesprochen. Wir schlugen zu. Kein Schnäppchen, aber okay. Kein langes Laufen auf der Hauptstraße und Hoffen, dass ein Tuktuk hält. Wir waren kurz vor 7 Uhr am Hotel. Mit akademischer Viertelstunde Verspätung ging es dann auch los. Anstrengend…. hat Frank ja schon beschrieben. ABER: vorher war ich im Hotel noch schnell auf dem Klo und mega-geflasht… überall Pink und Gold und warme Klobrillen, große Klokabinen mit Hocker und eigenem Handwaschbecken, Klunkerkronleuchter… irre. Dann noch Händewaschen am Goldschwanwasserhahn… ich hatte kein Handy mit zum Fotografieren. Aber das war einfach so irre und überwältigend, ich hätte wohl auch nicht fotografiert, wenn ich es dabeigehabt hätte vor Überwältigung. Heute sind wir ja später los, Gate war auf, Tuktuk zur Stelle. Leider kannte es das tolle Hotel nicht, aber wir konnten mittlerweile ja den Weg beschreiben. Ich war wieder auf dem Klo und habs Handy mitzunehmen wieder vergessen. Alles Weitere hat Frank beschrieben. Delhi eben.

 

Heute Abend Luxus pur: Es gab zwei Händchen voll Rosenkohl, vermutlich aus Holland, für schlappe 5 Euro. 


Samstag, 26. 11.

 

Beim Spaziergang ins Stadtgebiet Jorbagh, begegnete uns heute auf dem Rückweg zunächst das Denkmal für den indischen Besen, der sicher angebunden am Zaun, seine Potenzen präsentierte. Man beachte den den Zusatzschwunggriff.

Ein paar Schritte weiter gab es das passende Wandbild dazu. 2016 von einem Künstler während eines Symposium geschaffen. Es stellt die drei Hauptaufgaben des neuen Nationalstaates dar:

clean Lodhi, clean Delhi, clean India.

Dabei erzeugen sie den landestypischen Feinstaub.

Wir können das täglich erleben.


Mittwoch, 30.11.

Nachdem uns am 24. eine Sufimusikveranstaltung durch die Lappen gegangen ist, weil mich überraschend spontane Abgänge zu plagen begannen, wir am 26. dann doch etwas unterwegs sein konnten, war dann aber erst mal ganz Schluss mit lustig. Ich war ans Klo gefesselt für die nächsten Tage. Mein Innenleben wurde von Leukozyten und Rotaviren geplagt, wie mir heute der Arzt der Deutschen Botschaft schon am frühen Abend per Mail mitteilte. Die Antibiotikakeule hatte er mit schon heute Morgen mitgegeben und ich hab sie mir gleich verabreicht. So ging es mir schon wieder spürbar gut, als mich die Nachricht ereilte. Wir konnten Abends einen Einkaufsspaziergang machen und ich mir die Beine vertreten. Mich amüsierte sehr, wie sich das erste Einkaufshaus am Platz bezüglich Weihnachten auf seine internationalen Gäste einstellt. Ich hätte zu gern Lebkuchen und Stollen gekauft, aber nix da.